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[ Frau Hellmann wohnt da. ]
[ Frau Hellmann wohnt da. ]
Die Euro-Einführung liegt bald ein Vierteljahrhundert zurück, aber – lachen Sie ruhig – mein Gehirn schaltet immer noch gelegentlich in den Umrechnungsmodus. Ohne erkennbaren Anlass, ich hab das nicht unter Kontrolle, es ist eine Art Schluckauf im Hinterkopf. Der kürzlich unvermittelt an der Supermarktkasse hickste: Das waren mal mehr als 80 Schilling! Ja, das wäre mir anno dunnemal aberwitzig vorgekommen für so wenig Einkauf – ein Kilo Mandarinen im Supersonderangebot, und von der Diskont-Eigenmarke 400 Gramm Erdnüsse sowie 150 Gramm Tablettenverabreichungsschinken für die kleine Katze. Aber dass so ein bisschen Kleckerkram sich heute auf € 6,32 summiert, ist nicht weniger schockierend, das ist knapp der Betrag, den deutsche Bürgergeldbezieher:innen pro Tag für Lebensmittel zur Verfügung haben.
Mein eigenes Lebensmittelbudget liegt darüber, wenn auch nicht dramatisch viel, vor allem aber bin ich in der privilegierten Situation, nichts davon abzwacken zu müssen, um andere nötige Ausgaben stemmen zu können. Sogar Erhöhung war möglich, um mit den galoppierenden Preisen halbwegs Schritt zu halten, dafür kann ich nun weniger beiseite legen, um für nicht planbare, aber unvermeidliche Ausgaben gewappnet zu sein, Sie wissen schon, defekte Waschmaschine, neue Brillengläser und dergleichen. Das wird im nächsten Jahr nicht besser werden, aber sowas von nicht.
In einem Nachrichtenjournal hörte ich neulich eine Konsumentin sinngemäß sagen, sie müsse nun auch Lebensmittelpreise vergleichen, statt wie bisher einfach kaufen zu können, worauf sie Appetit habe; willkommen in meiner Welt, dachte ich da. Was diese Entwicklung für Menschen im Souterrain der Einkommenspyramide bedeutet, vermag ich mir gar nicht auszumalen, wo willst du denn noch am Essen sparen, um irgendeine Rechnung zahlen zu können, wenns so schon kaum reicht? Spätestens jetzt, so möchte eins meinen, wäre die Politik gefragt, sinnvolle Ideen zu präsentieren, wie Inflation und explodierende Lebensmittelpreise im Zaum gehalten oder wenigstens Bezieher:innen kleiner und kleinster Einkünfte entlastet werden können.
Wobei Lebensmittel hierzulande nicht erst seit gestern teurer sind als zB bei den deutschen Nachbar:innen, vor dem EU-Beitritt wurde das mit dem abgeschotteten Land begründet, mit zu vielen kleinen teuren Greißlern und zu wenig großen billigen Supermärkten. Jetzt hamma halt zu viele Supermärkte, das kostet, und zu viele Berge, transporttechnisch aufwändig; irgendein Grund für einen Österreich-Aufschlag bei der Preisgestaltung findet sich immer. Aktuell gern genommen werden auch TSC aka territoriale Lieferbeschränkungen1, weshalb leider, leider im kleinen Österreich alles teurer sein muss als nebenan, es aber ja eigentlich sowieso nicht wirklich teurer ist, weil Österreicher:innen als verspielte Wesen mit großer Leidenschaft Rabattmarkerl2 auf Einkäufe picken und auch sonst jedem Sonderangebot hinterherrennen, weshalb in der Alpenrepublik eh fast nix zum Regulärpreis verkauft wird, also alles paletti, sagt der Handel.
Das gemeine Österreichy aus den unteren Pyramidenetagen sieht das anders, weshalb die Politik von Zeit zu Zeit doch Ideen in den Raum wirft. Fix am Start ist immer eine Mehrwertsteuersenkung, klingt verlockend, auf einen Schlag alles Essbare billiger, sofern mit einer Pflicht zur Weitergabe der Steuersenkung verbunden. Da täts vermutlich schon haken, und würde sowieso in der Wirkung für die Konsument:innen bald verpuffen, weil ja sonstige, wie auch immer begründete Preissteigerungen dennoch stattfänden; dann bliebe von der schönen Steuersenkung nur noch der nicht unerhebliche Einnahmenentfall für den Staat übrig und damit weniger Möglichkeiten für wirklich entlastende Maßnahmen. Ja, Scherzerl.
Im Sommer dachte der Finanzminister laut über Preiseingriffe3 bei Lebensmitteln nach. Er ging nicht ins Detail, vermutlich, so dachte ich nostalgisch seufzend, schwebte ihm die Auferstehung der Paritätischen Preiskommission4 selig vor. Ich würde das nicht kritisiert haben, ein paar preisgebundene Grundnahrungsmittel stellen ja nicht gleich die ganze freie Marktwirtschaft in Frage, könnten aber durchaus eine Hilfe sein für Leute, die sich heftig abstrampeln müssen, um über die Runden zu kommen. Das Ganze war aber nur ein mediales saures Gurkerl, das umgehend wieder in der Versenkung verschwand, schad eigentlich.
In Bälde Gesetz werden soll die Idee, die Teuerung bei Lebensmittel transparenter zu gestalten: Preiserhöhungen, die durch weniger Inhalt in gleicher Verpackung zustandekommen, müssen deutlich gekennzeichnet werden. Warum? Keine Ahnung – damit Konsument:innen schon vor Erreichen der Supermarktkasse daran erinnert werden, dass sie immer weniger für ihr Geld bekommen? Mir solls recht sein, Transparenz ist immer fein; weitaus hilfreicher fänd ich es aber, wenns eine Verpflichtung gäbe, den jeweiligen Grundpreis in einer Größe anzuschreiben, die auch ohne Lupe lesbar ist5 – Produkt X kann ja trotz Schrumpfung billiger sein als ein Konkurrenzerzeugnis, aber der Vergleich ist halt mühsam, wenn die Grundpreise in kleinwinziger Schrift unter spiegelnder Oberfläche vor den Augen der Konsumentin verschwimmen. Aber Basisdaten gut lesbar zu machen, wär vermutlich zu einfach bei zu viel Nutzen, also kriegen wir eben ein Shrinkflationskennzeichnungsgesetz, und dazu noch die Ankündigung, die Regierung werde sich energisch für die Abschaffung des Österreich-Aufschlags einsetzen. Auf EU-Ebene, versteht sich, das ist praktisch, weil wenn nix draus wird, gibts immerhin schon einen Sündenbock.
Keine Frage, es wurmt, wenn ein und dieselben Waren, sogar die kultigen heimischen Mannerschnitten, jenseits der Grenze billiger angeboten werden, und natürlich murre ich, wenn plötzlich weniger Schokolade in der vertrauten Packung ist. Werde ich weniger murren, wenn der Supermarkt unübersehbar auf den geschrumpften Inhalt hinweist? Wohl kaum, es ändert ja nix. Dafür werd ich noch mehr über die Regierung meckern, die mit großer Geste kleinen Konsument:innenärger aufgreift und so tut, als täte sie was, während sie da, wo sie was tun könnte – bei Vermögens- & Erbschaftssteuern zB – sich darauf versteift, nix tun zu wollen, und das Budget lieber ausgabenseitig saniert, alles wird teurer, Leistungen werden gekürzt, es trifft überproportional jene, die eh kaum was haben – ah, ich hab schon wieder Blutdruck.
Es ist doch so, wenn ich heute Nachrichten höre, gucke, lese, hab ich das Gefühl, der (Sende-)Platz reicht kaum für alle aktuellen Krisen, die Welt, wie sie mal war, zersplittert gerade – aber die regierende Koalition gemächelt sich durchs Geschehen, als hätte sie alle Zeit der Welt, um sich was einfallen zu lassen und dann auch mal was zu tun; bis dahin gibts bloß Rotstift beim Budget und punktuellen Aktivismus wie die Shrinkflationskennzeichnungspflicht, kann sein, die halten das wirklich für Tatkraft, politischer Einsatz für Transparenz ist nicht selbstverständlich in diesem Land. Würde ich auch löblich finden, fühlte ich mich nicht gerade über die Maßen veräppelt.
Es fehlt mir jegliches Bedürfnis, ein Buch von Richard David Precht zu lesen; seinen Meinungen zu so ziemlich allem, was sich tut, ist ohnedies nicht zu entkommen. Eine dieser Meinungen ist, dass er nicht so reden dürfe, wie er wolle, ohne dafür in eine Ecke gestellt zu werden, mindestens, wenn nicht gar Shitstorms und Cancel Culture dräuen, in der Welt von Richard David Precht gleichzusetzen mit Pogromen und Faschismus1. Oder auch nicht, ich halte den Mann für kein komplettes geistiges Nackerpatzerl, derlei bei einer Buchpräsentation zu äußern, scheint mir mehr analoges Clickbaiting, Grobstrickprovokation für den Verkauf.
Der Chefredakteur einer Wiener Wochenzeitung kaufte und las, nachdenklich nickend, so stelle ich mir das jedenfalls vor, denn er fotografierte die Seite 672, fast jede einzelne Zeile unterstrichen, und das nicht, um sie kritisch zu zerlegen, sondern: „Das ist nicht falsch, was der Precht da schreibt.“3
Der Chefredakteur ist vergleichsweise jung, die von Precht erwähnten Teestuben der 70er- und 80er-Jahre dürfte er nicht besucht haben; ich auch nicht, also Teestuben schon, aber andere als Precht – wo ich verkehrte, war das Publikum zwar links, meist bekifft und friedlich, aber mit achtsamem Jargon wars trotzdem nicht weit her. In Konflikten nicht laut zu werden, Ich-Botschaften zu senden und was einer sonst noch unter dem Geist der Sozialarbeiter-Epoche verstehen mag, wurde damals durchaus empfohlen, aber nicht in Teestuben, sondern auf den Ratgeberseiten von Frauenzeitschriften, Ehekrach, aber konstruktiv. Ich weiß natürlich nicht, wo die Redakteur:innen das herhatten, vielleicht saßen sie in denselben Teestuben wie Precht.
Großflächiger wurde inklusive Sprache meiner Wahrnehmung nach ab den späten 90ern diskutiert, mangels Social Media vorwiegend im Feuilleton, und recht manierlich. Klar wurde den Gutmenschen ihre Political Correctness vorgehalten, die wurde aber eher als albern eingestuft und nicht als ein mit Hass und Häme geifernd zu bekämpfender Gottseibeiuns. Wie unter Wahrung korrekter Umgangsformen begründet wurde, warum manchen Menschen oder Gruppen diese Höflichkeit versagt werden sollte, war streckenweise skurril; verdeckte aber ein wenig den Blick, meinen jedenfalls, wie ich beschämt zugeben muss, auf die zugrunde liegende Verachtung der fraglichen Menschen und Gruppen. Die Argumente aus der Grabbelkiste – Ist doch nicht böse gemeint, Tradition, hieß immer schon so, historisch gesehen völlig neutraler Begriff – für N-Wort, Z-Wort & Co schienen mir begreiflich, aber mit ein bisserl Logik und Überzeugungskraft leicht auszuräumen; es brauchte erst die belustigt-paternalistische Ablehnung des Binnen-I, damit mir was dämmerte.
Mag sein, dass ich deshalb etwas gereizt auf die Precht’sche Seite 67 reagiere, wo gleich die ersten zwei Zeilen aus dem vorigen Jahrtausend zu winken scheinen. Jahrzehntelanger Diskurs, und doch alles immer wieder komplett auf Anfang, sobald ein fragiles Alphamännchen-Ego sich subtil unterdrückt fühlt. Andere Menschen in Dampflokmanier als sprachliche Verschubmasse behandeln und greinen, wenns dafür keinen Applaus gibt, ist ja schon dings; aber im selben Aufwaschen der neuen Linken vorzuhalten, ihre sorgsame Sprache schließe Nicht-Sorgsame aus und qualifiziere sie ab – das muss einer erstmal hinkriegen, Ambiguitätstoleranz galore. Dem derben und martialischen Jargon der proletarischen Linken4 nachtrauern, aber schon in leichtem Gegenwind wehleidig lamentieren – das ist wohl nur zu schaffen, wenn mann das Denken vor dem Reden für Zumutung hält:
„Wenn man vor zehn Jahren in eine Talkshow ging, hab ich keine Sekunde darüber nachgedacht, ob ich ein falsches Wort gebrauchen könnte. Wenn ich heute in einer Talkshow bin, weiß ich sehr, sehr genau, bei welchen Themen ich ganz, ganz, ganz, ganz, ganz genau auf die Wortwahl achten muss.“
Könnte sein, Richard David Precht würde sich in Österreich wohlfühlen. Hier, in der kleinen, rustikalen Alpenrepublik gibt es sie nämlich noch: Elementarpädagog:innen in ihrer ursprünglichen Form.

November, grau, trüb, morbide, dachte ich im Vorbeigehen.
Zerfetzte Folie, die zu Mikroplastik zerrieben wird, denke ich jetzt. In dem Boden, wo nächstes Jahr wieder Gemüse wächst, aus der Region für die Region, die Chancen stehen gut, dass ich ein bisschen davon am Bauernmarkt kaufe.

Late to the party, aber das Stadtbild-Statement des deutschen Kanzlers bewegte sich so dynamisch durch die gesellschaftspolitische Landschaft, dass ich nicht recht hinterherkam. Kaum war mein Grant gedanklich in Worte gefasst, schien er schon überholt und ein anderer Aspekt bedeutsamer. Aber dann las ich gestern, es seien schon mehr als tausend Strafanzeigen gegen Merz1 gestellt worden. Ist das nicht Volksverhetzung?, wurde schon am Beginn der Debatte in meinen Social-Media-Kanälen empört gefragt, und Jurist:innen, die verneinten, kriegten verbale Haue. Zu Unrecht, wie ich als Laiin finde, denn so ein Straftatbestand muss ja doch bestimmte konkrete Merkmale erfüllen, und was wäre denn an dem Statement des Bundeskanzlers konkret gewesen?
„Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem“, hatte er gesagt, was auf alles Mögliche abzielen kann; aber im Satz davor war von Migration und ihrer Begrenzung die Rede, danach von Rückführungen. Das gab einen Kontext vor, blieb aber dennoch vage. Migration. Probleme. Stadtbild. Konkreter wurde das nicht, das war Pudding, sowas können Sie nicht an die Wand nageln.
Was auch gut so ist, wenn Sie mich fragen, ich möchte nicht wegen etwas, das ich mit einer Bemerkung vielleicht gemeint haben könnte, vor Gericht landen. Selbst wenn ich es so gemeint hätte, wie unterstellt – Gedanken sind immer noch zollfrei, und sollten das auch bleiben. Auch jene Gedanken, die im Kopf von Friedrich Merz zum Thema Migration Ringelreihen tanzen. Das geht den Staat und seine Gerichtsbarkeit nichts an.
Die Öffentlichkeit hingegen darf über unscharfe Stadtbilder spekulieren oder auch – nach kleinen Paschas, Zahnarztterminen, Sozialtourismus etc – wenig bis keine Zweifel am gemeinten Sinn des Gesagten haben und es harsch kritisieren. Und es ungustiös finden, dass der Kanzler – der Kanzler –, gefragt, was er konkret gemeint habe, lächelnd mit der Zollfreiheit seiner Gedanken kokettierend, noch ein bisserl mehr andeutet: „Fragen Sie mal Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte.“
Das war keine Aufforderung, Gewaltschutz und was Frauen dazu zu sagen hätten, interessiert konservative alte Männer weitgehend Nüsse, es sollten nur düstere Bilder entstehen. „Migration. Stadtbild. Probleme. Spätestens mit Einbruch der Dunkelheit.“ Im Brustton der Überzeugung so über Migration, über Migrant:innen zu sprechen, versucht, die Diskussion in ein emotionales Gruselkabinett gefühlter Wahrheiten zu verschieben.
Das erbittert mich wirklich. Erstens überhaupt und zweitens, weil Kanzler. Was für ein Amts-, was für ein Politikverständnis hat so einer, wenn er markig Maßnahmen ankündigt, sie aber nicht konkret begründet, sondern das p.t. Publikum zum Spintisieren anregt? Ich mein, eins ist ja Kummer gewohnt mit politischen Worthülsen und Laberschaum, aber es ist eine Sache, mit Blablub von unschönen Fakten abzulenken, Notwehr quasi; ganz was anderes ist, mit Blablub die Fakten ganz besonders hässlich erscheinen lassen zu wollen, damit Maßnahmen angemessen wirken.
Das verfing da und dort tatsächlich, manche Kritik an dem, was der Kanzler „gemeint haben könnte“, wurde direkt mit einer Art Disclaimer versehen: Migration, Stadtbild, Probleme, gibts natürlich, aber. Einer sprach sogar von Angsträumen; hören die Leute sich eigentlich zu, wenn sie reden, als hätte Pudding einen greifbaren Kern, einen wahren gar? Dass Migrant:innen verantwortlich seien für marode Schulen und Straßen, für bröckelnde Fassaden, hohe Mieten und überfüllte Öffis, für steigende Lebensmittelpreise, Armut, Obdachlosigkeit, geschlossene Schwimmbäder und was sonst noch unangenehm auffällt im Stadtbild: das offenbart sich doch schon bei kurzem Nachdenken als komplett hanebüchen, und erst recht, dass all das sich in Wohlgefallen auflöste, würden nur weniger Fremde ins Land gelassen und mehr von ihnen hinauskomplimentiert.
Klar lässt sich da mit Nicht ganz falsch, aber gegenhalten, aber dann bitte nicht greinen, wenn Teile des Wahlvolks auf den postulierten wahren Kern fokussieren, ihn für sehr bedeutend nehmen und am Ende noch Migration für ein größeres Problem halten als den Klimawandel. Dasselbe in Lila waren die Hinweise darauf, wie unverzichtbar Migrant:innen seien, um das Land und seine Wirtschaft am Laufen zu halten, ich mein, ernsthaft jetzt? Menschen nach ihrem wirtschaftlichen Nutzwert beurteilen?
Allemal, es gab Gegenwind, viel davon, bis hin zu sinkenden Zuneigungswerten für Merz in Umfragen. Es ist mit dem Auseinanderdividieren und Entsolidarisieren doch nicht ganz so einfach, wenn wesentliche Teile der Gesellschaft sich widerborstig zeigen und sich partout nicht an die hässlichen Bilder, von denen ein jugendlicher Kanzler Österreichs mal sprach, gewöhnen wollen.
Denken Sie sich an dieser Stelle einen optimistischen Kalenderspruch, irgendwas mit Hoffnung oder so.
Und dann sehen, hören, lesen Sie aktuelle Nachrichten zB zum Thema syrische Flüchtlinge, die Position des deutschen Außenministers dazu, und was seine Partei davon hält. Oder gucken Sie nach Österreich, wo sich der Innenminister gerade mit Abschiebungen nach Afghanistan brüstet2. Weitere Abschiebungen dorthin seien in Vorbereitung, dafür habe man verhandelt. Mit Taliban-Vertretern. Die finden das nicht mal im Ansatz skandalös, die sind stolz darauf. Von den USA und ICE reden wir erst gar nicht. Hier wie dort wird Migration zunehmend als Nachtmahr – They are eating the cats. Spätestens mit Einbruch der Dunkelheit –, den es abzuschütteln gilt, dargestellt. Hier wie dort gibt es Menschen, die das glauben, gern glauben wollen, weil es einfache Lösungen verspricht und bis dahin ein Ventil für Aggressionen bietet.
Hoffnung? Ich bitte Sie. Aber ein bisschen Widerspenst & Widerspruch wär vielleicht drin, und sei es nur, um sich nicht gar so hilflos zu fühlen. Schlussendlich ist ja der deutsche Kanzler doch zurückgerudert. Also sowas in der Art nur, irgendwie, andeutungsweise, um ein paar Ecken. Aber zurück. Geht doch.
Zu Protektionismus, Diversion und Unbescholtenheit ist dieser Tage viel geschrieben und gesagt worden, ich habe weder Neues noch Substanzielles beizutragen, dazu fehlt es mir auch an juristischer Sachkenntnis. Aber ich bin eine von den Leuten da draußen, von den Menschen im Land, und ich nehme zur Kenntnis, denk mir mein Teil und vergesse das nicht, da bin ich Elefant.
Dass Postenschacher & Co schon früher Alltag waren in der Republik, dass die Großparteien, so könnt eins fast glauben, nur deshalb groß waren, weil ohne Parteibuch wenig bis nix ging, weil Erfolg vor Blut, Schweiß, Tränen und dem ganzen Tralala erstmal und zuvörderst Beziehungen brauchte, um überhaupt an den Start zu kommen – geschenkt. Obwohl es schon damals bizarr anmutete, dass dies nötig war, um nicht perspektivarm dahinzusumpern, das war ja kein Land mit Mangelwirtschaft, sondern eines im Aufschwung, da hätten Chancen doch nicht als knappes Gut gehandelt werden müssen.
Hilft nix, wurde resigniert gewitzelt, der Österreicher als solcher sei genetisch bedingt ein gschamster Diener, der sich Erwünschtes erschleime und artig buckle, ob vor dem lokalen Adligen einst oder dem Parteigranden jetzt, Jacke wie Hose. Und wo das Parteibuch nicht reicht und niemand wen kennt, der wen kennt, der wen kennt, bleibt immer noch das diskrete Kuvert, der Balkan beginnt halt am Rennweg1. Büchel, Beziehungen oder Bakschisch, irgendein Vitamin B brauchst zum Weiterkommen, das werden du und ich nicht ändern.
Zutreffende Vorhersage, wie es scheint, der Korruptionsindex2 lügt nicht. Aber der Fatalismus hat abgenommen, jedenfalls bei mir: es ist vielleicht so, aber es müsst nicht so sein. Es sich richten zu können, scheint weniger beneidenswert als kritikwürdig, einem Parteifreund an qualifizierteren Bewerber:innen vorbei zu einem Job zu verhelfen, erregt deutlichen Unmut. Nicht nur, weil derlei Postenschacher inzwischen gegen gesetzliche Regeln verstößt, sondern ganz grundsätzlich:
Wegen der Chancengerechtigkeit warats nämlich, und wegen der Fairness. Und weils nicht angehen kann, von Leistung, die sich lohnen muss, zu schwadronieren, aber Parteifreundschaft viel lohnender zu machen, ganz wie früher, als wär die Zeit vor Jahrzehnten stehengeblieben. Folgerichtig denn auch kein Reflektieren, kein Überdenken, keine Einsicht; hätt mich eh sehr überrascht, wenn doch. Auch nicht überraschend, wenn so ein Parteiling „in einem Atemzug Verantwortung übernimmt und sich aus ihr stiehlt“, wie Günter Traxler das im Standard3 so hübsch formuliert hat. Aber ein paar Sachen waren dann doch, die ich so nicht erwartet hätte, nicht 2025.
Die strafrechtliche Erledigung der Geschichte per Diversion ist sowas, ich mein, WTF?! Verstehen Sie mich nicht falsch, Diversion statt Strafprozess find ich grundsätzlich super – aber einem hochrangigen Politiker, dem Missbrauch der Amtsgewalt vorgeworfen wird, Diversion anbieten? Warum? Um ihm eine allfällige Vorstrafe zu ersparen, die seiner Karriere und Zukunft abträglich sein könnte? Oder was der Gründe mehr sind, warum Diversion einst eingeführt wurde. Ernsthaft jetzt? Und wenn schon Diversion, warum Geldzahlung4 als Maßnahme? Warum nicht zB gemeinnützige Arbeit? Eine Zeitlang hackeln bei einer Antidiskriminierungseinrichtung – Diskriminierung war ja, was der ausgebremsten Bewerberin widerfahren ist -, da hätt ihm vielleicht was gedämmert; und wenn nicht, wär doch die Außenwirkung eine andere gewesen als: Da hat sichs wieder wer richten können, und ziemlich billig noch dazu.
Unerwartet für mich auch, dass der Kanzler der Republik sich so unverhohlen wie ungeniert sehr freut5, dass sein Freund so umstandslos aus der Sache rauskam, und als Parteiobmann die Angelegenheit damit für erledigt erklärt. Das pack ich noch immer nicht: Der Bundeskanzler ist erfreut, dass eingestandener Missbrauch der Amtsgewalt durch einen Spitzenpolitiker keinen Fleck auf dessen weißer Weste hinterlässt. Der Bundeskanzler. Er hätt ja als Freund erfreut, als Parteiobmann zufrieden sein, als Kanzler aber sagen können, dass nun mehr denn je für Transparenz und saubere Politik gearbeitet werde. Oder sowas in der Art. Statt dessen Freude. Beim Kanzler. Beim Parteiobmann. Alles paletti, supersauber, unbescholten. Was sollte es danach denn anderes geben und geben können als business as usual?
Ich hatte tatsächlich gedacht, dass irgendwie wenigstens die Form gewahrt werden würde, Sie wissen schon, das übliche „Wir haben verstanden“-Salbadern mit angedeuteter Nachdenkbereitschaft, die Ankündigung interner Gespräche, wie es nun weitergehen solle in der Partei – Leitlinien, Verhaltenskodex, dies, das -, und natürlich mit dem Unbescholtenen. Aber selbst dieser geringe Aufwand entschlossener Lippenbekenntnisse zu Transparenz und gegen Filz in allen Ausprägungen ist der Kanzlerpartei zu viel. Was aber doch auch eine Form von Transparenz darstellt, weil es halt sichtbar macht, dass sogar jenes kleine Futzerl Anstand und Moral fehlt, das es allein für die Idee von Betroffenheitssimulierung gebraucht hätte.
Und schließlich die kleinen Regierungsparteien, die zu zweit die drei Affen geben, obwohl sie nicht ernsthaft glauben können, Schwürkis ließe die Koalition platzen, wenn sie in dieser Sache klare Kante zeigen. Oder haben die schon keine Kanten mehr, die sie zeigen könnten? Ist, sobald einmal die Sitze an den Schalthebeln eingenommen sind, alles blunzn? Koalitionsdisziplin der wichtigste Maßstab? Da ist eine Chance, sich zu profilieren, glaubwürdig für jene Werte einzutreten, die im Wahlkampf groß auf die Fahnen geheftet wurden, eine Chance, beim Wahlvolk einen guten Eindruck zu hinterlassen – und sie wird nicht ergriffen, weil die Kanzlerpartei verschnupft reagieren könnte?
Da reagiere halt ich als Teil des Wahlvolks verschnupft, verstimmt und vergrätzt. Und nehme zur Kenntnis, dass den Regierungsparteien ihre Befindlichkeiten und Interessen mehr am Herzen liegen als das Land. Und ich merk mir das, bis zur nächsten Wahl und darüber hinaus, also keine falschen Hoffnungen. Jeder Gebrauchtwagenhändler steht in meinem persönlichen Vertrauensindex weiter oben als die aktuelle Koalition. Das zu ändern, wird harte Arbeit für diese.
Es ist wohl ein Jahrzehnt her, vielleicht mehr, da wurde viel über Einkaufswagen geredet, und nicht freundlich. Über jene Einkaufswagen, die von der Kundschaft nach Gebrauch im Laden nicht wieder zu ihren regulären Standplätzen geschoben, sondern zum Heimtransport der Einkäufe benutzt wurden. Die standen dann in Einfahrten, auf Gehsteigen vor Hauseingängen, am Fahrbahnrand oder einfach in der Gegend rum, wo der Wind oder übermütige Kids sie hingetrieben hatten. Zum Ärger des Publikums, das Stadt- und Landschaftsbild beeinträchtigt sowie Leib & Leben bedroht sah, auf jeden Fall aber das bequeme Vorankommen am Gehsteig oder Wegerl im Park.
Maßnahmen wurden verlangt und getroffen. Eine plakative Kampagne versuchte mittels Strafandrohung ein Unrechtsbewusstsein zu schaffen; das Wagenpfand wurde auf zwei Euro erhöht, Plastikchips nicht mehr akzeptiert; Supermärkte installierten Grenzsperren, bei deren Überfahren die Wagenräder blockierten. Zweckentfremdung der Wagen wurde nicht unmöglich, aber mühsamer und sohin seltener. Das Publikum, nun wieder auf freien Gehsteigen unterwegs, war zufrieden.
Es kehrte Ruhe ein.
Nicht auf Dauer, Urbanität scheint ohne aufgeregtes Geschnatter nicht denkbar. Das nächste Hochkochen traf gelbe chinesische Leihräder und recycelte die Vorwürfe aus dem Einkaufswagenärger: Das Stadt- und Landschaftsbild, seine Beeinträchtigung bis Verschandelung, sowie die Gefahren für Leib, Leben und bequemes Vorankommen am Gehsteig durch achtlos abgestellte, wenn nicht gar einfach hingeworfene Fahrräder. Anders als bei den Einkaufswagen wurde bei den Rädern aber auch die grundsätzlich bestimmungsgemäße Verwendung als Provokation empfunden, als Gefahr für die körperliche Unversehrtheit unschuldiger Passant:innen sowieso, wenn Kids – am Stadtrand waren es mehrheitlich Kids, die den preisgünstigen Mobilitätsschub nutzten – unter nur peripherer Beachtung der Straßenverkehrsordnung durch die Gegend flitzen und bis in abgelegene Naherholungsgebiete vordrangen, wo nie zuvor Vierzehnjährige gesehen worden waren. Nicht zum ausschließlichen Wohlgefallen vorwiegend ältlicher Spaziergänger:innen.
Die gütige Stadtverwaltung, ein sonst oft behäbiger Apparat, reagierte behände auf die Beschwerden und unterwarf das stationsungebundene Leihradwesen von jetzt auf gleich einem so strengen Reglement, dass der Anbieter – wie wohl erhofft – umgehend seine Räder einsammelte und damit die Stadt verließ.
Es kehrte Ruhe ein.
Bis die Scooter kamen. Was ältere und alte Leute zunächst für motorisierten Kinderkram hielten, der früher mal Tretroller hieß und war, entzückte jüngere Erwachsene, insbesondere – aber nicht nur – die Öffi-Nutzer:innen unter ihnen. Die handlichen kleinen Roller waren und sind so offensichtlich das ultimative Gefährt für die Last Mile und sonstige kurze Wege, dass es verwundert, warum es so lang gedauert hat, bis sie die Kinderabteilung verließen. Und sie sind doppelt praktisch, wenn eins sich bei Bedarf einfach einen Leih-Scooter nehmen, ein paar Ecken fahren und ihn am Ziel abstellen und vergessen kann. Letzteres führte umgehend zu einem anschwellenden Brausen des Unmuts wegen der – Sie ahnen es – Gefahren für Leib, Leben und bequemes Vorankommen am Gehsteig durch achtlos abgestellte, wenn nicht gar einfach hingeworfene Scooter.
Auch in dieser Angelegenheit reagierte die gütige Stadtverwaltung zügig, wiewohl weit weniger streng als zuvor bei den gelben Fahrrädern. Zwar wurden einige Verbotszonen definiert, die Anbieter aber nicht massiv vergrätzt. Denn vor allem wurde in Pinsel und Farbe investiert, um erlaubte Abstellflächen zu markieren, deren Zahl kontinuierlich steigt. Außerhalb der Markierungen sind Gehsteige für die Leih-Scooter tabu. Das holperte anfangs, und holpert noch immer wieder mal, aber die Lage entspannte sich deutlich.
Es kehrte Ruhe ein.
Unterdessen hatte, so will mir scheinen, der lokale Handel sich vom Präventionsparadoxon einlullen lassen und nach und nach alle Sicherungsmaßnahmen für seine Einkaufswagen aufgehoben. Sie wurden fast überall frei verfügbar, ohne Chips, ohne Münzen, ohne Grenzblockaden. Und blieben doch dort, wo sie hingehören, auf dem Areal des jeweiligen Ladens. Erstaunlich lange sogar. Seit einigen Monaten aber treiben sie sich wieder im Grätzl herum, lungern in Einfahrten, auf Gehsteigen und Grünstreifen und dienen Krähen als Sitzplatz.
Doch anders als im ersten Durchgang nimmt die Einwohnerschaft es diesmal entspannt hin, warum auch immer. Ist man überzeugt, Aufregung lohne nicht, es wird sich schon wer kümmern, wie damals vor zehn Jahren auch? Verlangt ein randstädtischer Verhaltenskodex, sich nicht zweimal über dieselbe Sache zu echauffieren? Werden die Wagerln diesmal von einem Schleier der Nostalgie weichgezeichnet? Oder breitet sich schon ein anderer, neuer Aufreger aus und ich hab nur das erste leise Raunen der Empörung überhört?
Noch herrscht Ruhe.

Maulen, meckern, motschgern, murren: Mein grindiges Grätzel bietet immer wieder Anlass dafür, im Großen wie im Kleinen; ringt mir aber gelegentlich auch ein anerkennendes Nicken ab: Manches funktioniert trotz stadträndischer Lage ganz ausgezeichnet. Sauberkeit im öffentlichen Raum gehört dazu, das ist nicht selbstverständlich. In Zeiten klammer Kassen sparen Kommunen auch mal an Straßenreinigung und Müllentsorgung, oder gleich an ausreichend vielen Mistkübeln. Letztere werden natürlich auch hier immer seltener, je weiter die Stadt ausfranst, und sie sind strategisch nicht immer ganz glücklich positioniert; aber es gibt sie, selbst in grünen Naherholungsbereichen. Erst recht in bebautem Gebiet, wo Menschen in größerer Zahl unterwegs sind: Wo immer sich Gassen kreuzen oder ein Bankerl auf befestigtem Untergrund steht, ist der nächste Mistkübel nah, und gewiss immer in Sichtweite. Sie werden auch fast überall und fast immer in angemessener Frequenz entleert, überquellende Mistkübel sind eine seltene Erfahrung.
Das ist nicht selbstverständlich. Umso weniger, als die 48er (die Mitarbeitenden der gleichnummrigen Wiener Magistratsabteilung für Abfallwirtschaft) nicht immer und überall auf kooperative Stadtbewohner:innen treffen. Denn selbst die paar Armlängen Entfernung zum nächsten Mistkübel sind überraschend vielen Leuten schon zu viel, insbesondere, wenn sie sich dafür in Bewegung setzen müssten: Wer sowieso geht, ist nicht ganz abgeneigt, den leeren Kaffeebecher noch ein paar Meter in der Hand zu behalten, sofern denn schon ein Mistkübel zu sehen ist. Aber wer auf einem Bankerl oder einer Mauer sitzt oder gemütlich irgendwo angelehnt steht, folgt eher dem Gesetz der Trägheit und lässt Becher & Co einfach fallen. Allenfalls wird der Abfall unbeholfen aus dem direkten Sichtfeld gekickt, aber ihn beim Aufbruch mitzunehmen, ist für diese Hansl:innen offenbar keine Option.
Das ist natürlich kein Phänomen meines grindigen Grätzls allein, noch nicht mal eins des Stadtrands an sich. Wo Menschen sind, entsteht Abfall, und wird als solcher von seinen Produzent:innen gern ignoriert. Stadtrand oder City, Sandstrand oder schroffes Gebirge – egal. Wobei: Dass Bergsteiger:innen am Mount Everest froh um jedes Gramm Last sind, das sie loswerden, kann ich immerhin verstehen – nicht gutheißen, die kraxeln da ja freiwillig rum, aber verstehen. Nur, im Prinzip verhalten sich solche Klettertourist:innen nicht anders als zuhauf Badegäste am Strand von Copacabana, wo Putztrupps allnächtlich enorme Mengen Müll einsammeln, wie ich neulich in einer Doku sah: mehr als 40 Tonnen auf vier Kilometer Strand. Jeden. Einzelnen. Tag. Da fällste doch vom Glauben ab.
Ich hab mich oft gefragt, was die Hansl:innen sich denken, wenn sie die Gegend vermüllen. Erst recht, wenn die Gegend eine ist, die sie selbst immer wieder aufsuchen. Was geht in denen vor? Ich fürchte: gar nichts. Die lassen ihren Mist fallen, wie sie atmen. Es passiert einfach, gedanken- und emotionslos. Bewusste Steuerung ist möglich, aber die seltene Ausnahme, viel Änderungspotenzial dürfte es also nicht geben. An Einsicht appellierende Kampagnen werden schwerlich erfolgreicher sein als die Gebetsmühlen der ersten Coronajahre, die zum Husten und Niesen in die Ellenbeuge aufriefen. Schwarze Pädagogik in Form schmerzhaft hoher Strafgebühren könnte eher Wirkung zeigen, sofern mit annähernd lückenloser Überwachung einhergehend, was ja nun auch niemand wollen kann. Die Wiener Waste Watcher stehen irgendwo dazwischen für erhobenen Zeigefinger und gelegentliche Taschengeldkürzung. Das bewirkt nicht viel, fügt sich aber bestens in den Rahmen der identitätsstiftenden Wiener Gemütlichkeit. Den Rest erledigen die 48er, und zwar ausgezeichnet. An denen liegt es nicht, dass ich mein Grätzl als grindig wahrnehme, immer mal wieder.
