• Die Aufreger

    Es ist wohl ein Jahrzehnt her, vielleicht mehr, da wurde viel über Einkaufswagen geredet, und nicht freundlich. Über jene Einkaufswagen, die von der Kundschaft nach Gebrauch im Laden nicht wieder zu ihren regulären Standplätzen geschoben, sondern zum Heimtransport der Einkäufe benutzt wurden. Die standen dann in Einfahrten, auf Gehsteigen vor Hauseingängen, am Fahrbahnrand oder einfach in der Gegend rum, wo der Wind oder übermütige Kids sie hingetrieben hatten. Zum Ärger des Publikums, das Stadt- und Landschaftsbild beeinträchtigt sowie Leib & Leben bedroht sah, auf jeden Fall aber das bequeme Vorankommen am Gehsteig oder Wegerl im Park. 

    Maßnahmen wurden verlangt und getroffen. Eine plakative Kampagne versuchte mittels Strafandrohung ein Unrechtsbewusstsein zu schaffen; das Wagenpfand wurde auf zwei Euro erhöht, Plastikchips nicht mehr akzeptiert; Supermärkte installierten Grenzsperren, bei deren Überfahren die Wagenräder blockierten. Zweckentfremdung der Wagen wurde nicht unmöglich, aber mühsamer und sohin seltener. Das Publikum, nun wieder auf freien Gehsteigen unterwegs, war zufrieden.

    Es kehrte Ruhe ein. 

    Nicht auf Dauer, Urbanität scheint ohne aufgeregtes Geschnatter nicht denkbar. Das nächste Hochkochen traf gelbe chinesische Leihräder und recycelte die Vorwürfe aus dem Einkaufswagenärger: Das Stadt- und Landschaftsbild, seine Beeinträchtigung bis Verschandelung, sowie die Gefahren für Leib, Leben und bequemes Vorankommen am Gehsteig durch achtlos abgestellte, wenn nicht gar einfach hingeworfene Fahrräder. Anders als bei den Einkaufswagen wurde bei den Rädern aber auch die grundsätzlich bestimmungsgemäße Verwendung als Provokation empfunden, als Gefahr für die körperliche Unversehrtheit unschuldiger Passant:innen sowieso, wenn Kids – am Stadtrand waren es mehrheitlich Kids, die den preisgünstigen Mobilitätsschub nutzten – unter nur peripherer Beachtung der Straßenverkehrsordnung durch die Gegend flitzen und bis in abgelegene Naherholungsgebiete vordrangen, wo nie zuvor Vierzehnjährige gesehen worden waren. Nicht zum ausschließlichen Wohlgefallen vorwiegend ältlicher Spaziergänger:innen. 

    Die gütige Stadtverwaltung, ein sonst oft behäbiger Apparat, reagierte behände auf die Beschwerden und unterwarf das stationsungebundene Leihradwesen von jetzt auf gleich einem so strengen Reglement, dass der Anbieter – wie wohl erhofft – umgehend seine Räder einsammelte und damit die Stadt verließ.

    Es kehrte Ruhe ein. 

    Bis die Scooter kamen. Was ältere und alte Leute zunächst für motorisierten Kinderkram hielten, der früher mal Tretroller hieß und war, entzückte jüngere Erwachsene, insbesondere – aber nicht nur – die Öffi-Nutzer:innen unter ihnen. Die handlichen kleinen Roller waren und sind so offensichtlich das ultimative Gefährt für die Last Mile und sonstige kurze Wege, dass es verwundert, warum es so lang gedauert hat, bis sie die Kinderabteilung verließen. Und sie sind doppelt praktisch, wenn eins sich bei Bedarf einfach einen Leih-Scooter nehmen, ein paar Ecken fahren und ihn am Ziel abstellen und vergessen kann. Letzteres führte umgehend zu einem anschwellenden Brausen des Unmuts wegen der – Sie ahnen es – Gefahren für Leib, Leben und bequemes Vorankommen am Gehsteig durch achtlos abgestellte, wenn nicht gar einfach hingeworfene Scooter.

    Auch in dieser Angelegenheit reagierte die gütige Stadtverwaltung zügig, wiewohl weit weniger streng als zuvor bei den gelben Fahrrädern. Zwar wurden einige Verbotszonen definiert, die Anbieter aber nicht massiv vergrätzt. Denn vor allem wurde in Pinsel und Farbe investiert, um erlaubte Abstellflächen zu markieren, deren Zahl kontinuierlich steigt. Außerhalb der Markierungen sind Gehsteige für die Leih-Scooter tabu. Das holperte anfangs, und holpert noch immer wieder mal, aber die Lage entspannte sich deutlich.

    Es kehrte Ruhe ein. 

    Unterdessen hatte, so will mir scheinen, der lokale Handel sich vom Präventionsparadoxon einlullen lassen und nach und nach alle Sicherungsmaßnahmen für seine Einkaufswagen aufgehoben. Sie wurden fast überall frei verfügbar, ohne Chips, ohne Münzen, ohne Grenzblockaden. Und blieben doch dort, wo sie hingehören, auf dem Areal des jeweiligen Ladens. Erstaunlich lange sogar. Seit einigen Monaten aber treiben sie sich wieder im Grätzl herum, lungern in Einfahrten, auf Gehsteigen und Grünstreifen und dienen Krähen als Sitzplatz. 

    Doch anders als im ersten Durchgang nimmt die Einwohnerschaft es diesmal entspannt hin, warum auch immer. Ist man überzeugt, Aufregung lohne nicht, es wird sich schon wer kümmern, wie damals vor zehn Jahren auch? Verlangt ein randstädtischer Verhaltenskodex, sich nicht zweimal über dieselbe Sache zu echauffieren? Werden die Wagerln diesmal von einem Schleier der Nostalgie weichgezeichnet? Oder breitet sich schon ein anderer, neuer Aufreger aus und ich hab nur das erste leise Raunen der Empörung überhört?

    Noch herrscht Ruhe. 


  • Der Mist

    Maulen, meckern, motschgern, murren: Mein grindiges Grätzel bietet immer wieder Anlass dafür, im Großen wie im Kleinen; ringt mir aber gelegentlich auch ein anerkennendes Nicken ab: Manches funktioniert trotz stadträndischer Lage ganz ausgezeichnet. Sauberkeit im öffentlichen Raum gehört dazu, das ist nicht selbstverständlich. In Zeiten klammer Kassen sparen Kommunen auch mal an Straßenreinigung und Müllentsorgung, oder gleich an ausreichend vielen Mistkübeln. Letztere werden natürlich auch hier immer seltener, je weiter die Stadt ausfranst, und sie sind strategisch nicht immer ganz glücklich positioniert; aber es gibt sie, selbst in grünen Naherholungsbereichen. Erst recht in bebautem Gebiet, wo Menschen in größerer Zahl unterwegs sind: Wo immer sich Gassen kreuzen oder ein Bankerl auf befestigtem Untergrund steht, ist der nächste Mistkübel nah, und gewiss immer in Sichtweite. Sie werden auch fast überall und fast immer in angemessener Frequenz entleert, überquellende Mistkübel sind eine seltene Erfahrung. 

    Das ist nicht selbstverständlich. Umso weniger, als die 48er (die Mitarbeitenden der gleichnummrigen Wiener Magistratsabteilung für Abfallwirtschaft) nicht immer und überall auf kooperative Stadtbewohner:innen treffen. Denn selbst die paar Armlängen Entfernung zum nächsten Mistkübel sind überraschend vielen Leuten schon zu viel, insbesondere, wenn sie sich dafür in Bewegung setzen müssten: Wer sowieso geht, ist nicht ganz abgeneigt, den leeren Kaffeebecher noch ein paar Meter in der Hand zu behalten, sofern denn schon ein Mistkübel zu sehen ist. Aber wer auf einem Bankerl oder einer Mauer sitzt oder gemütlich irgendwo angelehnt steht, folgt eher dem Gesetz der Trägheit und lässt Becher & Co einfach fallen. Allenfalls wird der Abfall unbeholfen aus dem direkten Sichtfeld gekickt, aber ihn beim Aufbruch mitzunehmen, ist für diese Hansl:innen offenbar keine Option.

    Das ist natürlich kein Phänomen meines grindigen Grätzls allein, noch nicht mal eins des Stadtrands an sich. Wo Menschen sind, entsteht Abfall, und wird als solcher von seinen Produzent:innen gern ignoriert. Stadtrand oder City, Sandstrand oder schroffes Gebirge – egal. Wobei: Dass Bergsteiger:innen am Mount Everest froh um jedes Gramm Last sind, das sie loswerden, kann ich immerhin verstehen – nicht gutheißen, die kraxeln da ja freiwillig rum, aber verstehen. Nur, im Prinzip verhalten sich solche Klettertourist:innen nicht anders als zuhauf Badegäste am Strand von Copacabana, wo Putztrupps allnächtlich enorme Mengen Müll einsammeln, wie ich neulich in einer Doku sah: mehr als 40 Tonnen auf vier Kilometer Strand. Jeden. Einzelnen. Tag. Da fällste doch vom Glauben ab.

    Ich hab mich oft gefragt, was die Hansl:innen sich denken, wenn sie die Gegend vermüllen. Erst recht, wenn die Gegend eine ist, die sie selbst immer wieder aufsuchen. Was geht in denen vor? Ich fürchte: gar nichts. Die lassen ihren Mist fallen, wie sie atmen. Es passiert einfach, gedanken- und emotionslos. Bewusste Steuerung ist möglich, aber die seltene Ausnahme, viel Änderungspotenzial dürfte es also nicht geben. An Einsicht appellierende Kampagnen werden schwerlich erfolgreicher sein als die Gebetsmühlen der ersten Coronajahre, die zum Husten und Niesen in die Ellenbeuge aufriefen. Schwarze Pädagogik in Form schmerzhaft hoher Strafgebühren könnte eher Wirkung zeigen, sofern mit annähernd lückenloser Überwachung einhergehend, was ja nun auch niemand wollen kann. Die Wiener Waste Watcher stehen irgendwo dazwischen für erhobenen Zeigefinger und gelegentliche Taschengeldkürzung. Das bewirkt nicht viel, fügt sich aber bestens in den Rahmen der identitätsstiftenden Wiener Gemütlichkeit. Den Rest erledigen die 48er, und zwar ausgezeichnet. An denen liegt es nicht, dass ich mein Grätzl als grindig wahrnehme, immer mal wieder.