Der Mist

Maulen, meckern, motschgern, murren: Mein grindiges Grätzel bietet immer wieder Anlass dafür, im Großen wie im Kleinen; ringt mir aber gelegentlich auch ein anerkennendes Nicken ab: Manches funktioniert trotz stadträndischer Lage ganz ausgezeichnet. Sauberkeit im öffentlichen Raum gehört dazu, das ist nicht selbstverständlich. In Zeiten klammer Kassen sparen Kommunen auch mal an Straßenreinigung und Müllentsorgung, oder gleich an ausreichend vielen Mistkübeln. Letztere werden natürlich auch hier immer seltener, je weiter die Stadt ausfranst, und sie sind strategisch nicht immer ganz glücklich positioniert; aber es gibt sie, selbst in grünen Naherholungsbereichen. Erst recht in bebautem Gebiet, wo Menschen in größerer Zahl unterwegs sind: Wo immer sich Gassen kreuzen oder ein Bankerl auf befestigtem Untergrund steht, ist der nächste Mistkübel nah, und gewiss immer in Sichtweite. Sie werden auch fast überall und fast immer in angemessener Frequenz entleert, überquellende Mistkübel sind eine seltene Erfahrung. 

Das ist nicht selbstverständlich. Umso weniger, als die 48er (die Mitarbeitenden der gleichnummrigen Wiener Magistratsabteilung für Abfallwirtschaft) nicht immer und überall auf kooperative Stadtbewohner:innen treffen. Denn selbst die paar Armlängen Entfernung zum nächsten Mistkübel sind überraschend vielen Leuten schon zu viel, insbesondere, wenn sie sich dafür in Bewegung setzen müssten: Wer sowieso geht, ist nicht ganz abgeneigt, den leeren Kaffeebecher noch ein paar Meter in der Hand zu behalten, sofern denn schon ein Mistkübel zu sehen ist. Aber wer auf einem Bankerl oder einer Mauer sitzt oder gemütlich irgendwo angelehnt steht, folgt eher dem Gesetz der Trägheit und lässt Becher & Co einfach fallen. Allenfalls wird der Abfall unbeholfen aus dem direkten Sichtfeld gekickt, aber ihn beim Aufbruch mitzunehmen, ist für diese Hansl:innen offenbar keine Option.

Das ist natürlich kein Phänomen meines grindigen Grätzls allein, noch nicht mal eins des Stadtrands an sich. Wo Menschen sind, entsteht Abfall, und wird als solcher von seinen Produzent:innen gern ignoriert. Stadtrand oder City, Sandstrand oder schroffes Gebirge – egal. Wobei: Dass Bergsteiger:innen am Mount Everest froh um jedes Gramm Last sind, das sie loswerden, kann ich immerhin verstehen – nicht gutheißen, die kraxeln da ja freiwillig rum, aber verstehen. Nur, im Prinzip verhalten sich solche Klettertourist:innen nicht anders als zuhauf Badegäste am Strand von Copacabana, wo Putztrupps allnächtlich enorme Mengen Müll einsammeln, wie ich neulich in einer Doku sah: mehr als 40 Tonnen auf vier Kilometer Strand. Jeden. Einzelnen. Tag. Da fällste doch vom Glauben ab.

Ich hab mich oft gefragt, was die Hansl:innen sich denken, wenn sie die Gegend vermüllen. Erst recht, wenn die Gegend eine ist, die sie selbst immer wieder aufsuchen. Was geht in denen vor? Ich fürchte: gar nichts. Die lassen ihren Mist fallen, wie sie atmen. Es passiert einfach, gedanken- und emotionslos. Bewusste Steuerung ist möglich, aber die seltene Ausnahme, viel Änderungspotenzial dürfte es also nicht geben. An Einsicht appellierende Kampagnen werden schwerlich erfolgreicher sein als die Gebetsmühlen der ersten Coronajahre, die zum Husten und Niesen in die Ellenbeuge aufriefen. Schwarze Pädagogik in Form schmerzhaft hoher Strafgebühren könnte eher Wirkung zeigen, sofern mit annähernd lückenloser Überwachung einhergehend, was ja nun auch niemand wollen kann. Die Wiener Waste Watcher stehen irgendwo dazwischen für erhobenen Zeigefinger und gelegentliche Taschengeldkürzung. Das bewirkt nicht viel, fügt sich aber bestens in den Rahmen der identitätsstiftenden Wiener Gemütlichkeit. Den Rest erledigen die 48er, und zwar ausgezeichnet. An denen liegt es nicht, dass ich mein Grätzl als grindig wahrnehme, immer mal wieder.